Gläsernes Übersetzen

Gläsernes Übersetzen mit Liza Linde

Wer Literatur übersetzt, hört immer mal wieder die Frage: „Was tust du eigentlich den ganzen Tag? Du musst doch bloß übersetzen!“

Bloß ist das nicht so einfach mit dem „Bloß-Übersetzen“. Am besten einfach mal selbst ausprobieren. Und zwar am Hieronymustag, dem Internationalen Tag der Übersetzung.

Zum 14. Mal haben wir für unseren Verein Weltlesebühne am 28.09.2023 in der Zentralbibliothek Frankfurt zu einem „Gläsernen Übersetzen“ eingeladen. „Gläsern“, weil das Publikum miterleben kann, wie eine Übersetzung entsteht. Und vor allem selbst Lösungen beitragen kann. Übersetzt wird immer aus der Sprache des Ehrengasts der Frankfurter Buchmesse – es soll ja abwechslungsreich bleiben.

Slowenien – wo Lyrik und Erzählungen geschätzt werden

Dieses Jahr also Slowenien. Ein kleines Land mit großartiger Literatur. Über die in Deutschland aber nur wenig bekannt ist. Und Menschen, die Literatur aus dem Slowenischen übersetzen, gibt es auch nur eine Handvoll. Daher war es uns eine große Freude, dass Liza Linde eigens für uns aus Ljubljana anreiste.

In der reichen Literaturszene des Landes werden Lyrik und Erzählungen sehr geschätzt – Literaturformen, in denen jedes Wort mit Bedacht werden muss. Und auch in der Übersetzung muss jedes Wort sitzen. So auch im Erzählband „Unter die Oberfläche“ von Mojca Kumerdej, erschienen im Wallstein Verlag.

Ein Auto mit KI – und Humor?!?

Liza Linde hatte fürs gemeinsame Übersetzen eine Passage aus der Erzählung „Ein Leben mit Erik“ ausgewählt, die in der nahen Zukunft spielt. Erik ist die künstliche Intelligenz eines Autos, zu dem die Besitzerin allmählich eine Beziehung aufbaut. Doch eine KI kann Vieles lernen, aber eines nicht – Humor!

In der Übersetzungspassage ging es um ein Wortspiel, das sich über zwei Absätze zog, und das Publikum beteiligte sich mit interessanten Lösungsvorschlägen, wie man „dumm“ so übersetzen kann, damit eine KI immer wieder zu falschen Schlussfolgerungen kommt

Mit viel Freude spielte das Publikum Varianten von „durchgeknallt“ über „verpeilt“ bis „neben der Spur“ durch, die man auch wunderbar wörtlich nehmen kann. Und befand sich dabei nicht „auf einem geistigen Irrweg“, sondern hat dabei einen tiefen Einblick ins Literaturübersetzen bekommen.

Wer mehr wissen will über die Entstehung dieses Buches – einfach hier klicken. Denn Liza Linde hat darüber – und auch zum alltäglichen Wahnsinn von Literaturübersetzer*innen – ein aufschlussreiches Journal fürs TOLEDO-Programm geschrieben. Hier entsteht seit einigen Jahren ein Archiv des Übersetzens mit umfangreichen Werkstattberichten von Übersetzenden für Prosa, Lyrik und Comic. Wie es so schön dort heißt: „Sie laden ein, in den Erfahrungsraum der Übersetzenden einzutauchen und verschaffen uns Einblicke in verborgene Assoziationsräume und Bilderwelten des übersetzten Werkes.“

B.N.